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Das Weihnachtsgeschenk
 

Dank der modernen Technik weiß ich: Heute ist es so weit! Mein persönlicher Tag X, mein Tag des Triumphes ist da!

Warum ich mir so sicher bin? Mein Handy hat es mir gestern mittels SMS mitgeteilt: Im Laufe des Vormittags erhalte ich endlich mein heißersehntes Paket. Sozusagen am letzten Drücker.

Es ist Weihnachten und die kommenden Tage gibt es keine Postzustellungen. Dementsprechend nervös bin ich. Was, wenn in letzter Sekunde noch etwas schief geht? Wenn das Paket irgendwo im Nirgendwo hängen bleibt? Verloren geht?

Ich habe die ganze Nacht fast kein Auge zugemacht vor Aufregung. Wieso verschicken die es auch erst jetzt, so kurz vor Weihnachten?

 

Beim Frühstück lasse ich den Gehsteig vor meinem Küchenfenster nicht aus den Augen.

Wie schlecht die alte Frau Maier aus der ersten Etage doch geht. Sie müht sich regelrecht ab mit ihrem Gehstock und der Einkaufstasche. Das ist mir so bisher noch gar nicht aufgefallen. Ich nehme mir vor, sie demnächst zu fragen, ob ich ihr in Zukunft beim Wocheneinkauf behilflich sein darf.

Mensch, wie viele Vögel sich doch vor meinem Fenster tummeln! Es hat sich also unter meinen gefiederten Freunden herumgesprochen, dass es hier eine stets gut befüllte Futterstation gibt. Wie fröhlich sie hin und her hüpfen, die kleinen Piepmätze.

Der junge Huber donnert mit seinem Prolo-Wagen mit mindestens siebzig Sachen in unsere kleine Gasse. Wie ein eitler Pfau sieht er sich beim Aussteigen nach allen Seiten um. Ich winke ihm zur Begrüßung. Strahlend winkt er zurück. Und wieder jemanden glücklich gemacht. Ich muss grinsen. Wenn der wüsste, was ich wirklich von seinem Gehabe halte.

 

Zeit für die Morgentoilette. Hoffentlich überhöre ich im Bad nicht die Türglocke. Meinen Bademantel hänge ich griffbereit auf den Haken. Wahrscheinlich läutet der Paketbote gerade dann, wenn ich voll eingeschäumt unter der Dusche stehe. Man stelle sich vor, ich laufe vor Aufregung nackt zur Tür! Schlimmer wäre allerdings, der Postmensch geht wieder, weil ich nicht schnell genug bin. Dann schon lieber nackt öffnen.

 

Gefühlte Stunden später: Kein Paketmann, kein Paket. Ich muss mich ablenken, sonst drehe ich noch durch. Gott sei Dank habe ich keine Zigaretten im Haus. Am Ende würde ich nach all den Jahren vor Aufregung wieder mit dem Rauchen anfangen. Nein, würde ich nicht.

  In Filmen schenken sich die Protagonisten bei solchen Gelegenheiten immer ein Glas Cognac oder Sekt ein. Mein Magen zieht sich schon alleine bei dem Gedanken schaudernd zusammen. Wir, also mein Magen und ich, wir mögen derartige Getränke nicht.

Vielleicht hilft mir ja Jane Fonda beim Warten? Ich könnte mit ihrer Hilfe zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Erstens bin ich abgelenkt und zweitens bringe ich meine Figur in Form.

 

Also rein in die Sportsachen, Matte im Wohnzimmer aufgerollt und Janes Aerobic-DVD in den Player eingelegt. Die Lautstärke drehe ich auf die kleinste Stufe, um die Türglocke nur ja nicht zu überhören. So gut es geht versuchte ich, mich auf die Übungen zu konzentrieren. Anfangs gelingt mir das nur holprig, aber bereits nach kurzer Zeit spüre ich wie mich Jane mitreißt, ich lockerer werde, mich entspanne.

 

„Dongdongdongdong! Dongdongdongdong! Dongdongdongdong!“ Erschrocken halte ich mitten in der Übung inne, schnappe mir mein Handtuch und lege es mir um den Hals. Ich rase zur Tür, donnere dabei zuerst mit der Hüfte gegen den Türstock und dann auch noch mit dem Knie gegen den Garderobenschrank. Die Schmerzensschreie schlucke ich mit zusammengebissenen Zähnen hinunter. Ich spüre Tränen meine Wangen hinunter laufen. Noch während ich mir mit dem Handtuch den Ausdruck des Schmerzes samt Tränen und Schweiß vom Gesicht rubbele, öffne ich.

 

Und so stehen wir uns also endlich gegenüber. Der Postbote und ich. Ich, leichtbekleidet und voller Vorfreude auf das auf mich Zukommende und er, in voller Montur und sehr dienstlich. Nervös trippele ich von einem Fuß auf den anderen.

„Ist Ihnen nicht kalt?“ Der Blick des Postboten gleitet über meine Kleidung, die in seinen Augen sicherlich mehr als unpassend für diese Jahreszeit ist. Er weiß ja nicht, was wir bis jetzt Schweißtreibendes getrieben haben, Jane und ich.

Ich blicke an mir hinunter. Mit kurzer Hose und ärmellosem T-Shirt stehe ich bei Minusgraden barfuß in der offenen Tür. Meine Zehen, die ein wenig in den Schnee hinausragen, kringeln sich schutzsuchend zusammen. Fröstelnd verschränke ich die Arme vor der Brust. „Jetzt, wo Sie es sagen: ja.“

Er tippelt auf seinem kleinen schwarzen Kasten herum, hält ihn mir zum Unterschreiben vors Gesicht. Ohne Brille und mit zusammengekniffenen Augen versuche ich mit dem Zeigefinger meine Unterschrift auf dem Display korrekt darzustellen. Ein Ding der Unmöglichkeit. Ebenso könnte ich Mary Poppins hin kritzeln.

„Tschüss, frohe Weihnachten“, verabschiedet sich der Paketbote höflich.

„Tschüss! Und danke!“

 

Nun halte ich es also endlich in den Händen, mein heiß ersehntes Paket. Freude erfüllt mich von den kribbeligen, weil eisigen, Zehen bis in die vom Turnen verschwitzten Haarspitzen. Liebevoll stelle ich es auf die Küchenablage, zerre an der Schnur. Aber Stopp! Ich muss das Öffnen etwas zelebrieren, das Ganze mehr genießen. Ob ich mich umziehe? Und frisiere? Und schminke? Schließlich ist es ein erhabener Moment.

Ich streiche zärtlich über den Karton und renne nach oben ins Schlafzimmer. Hastig ziehe ich mir meinen Jogger über, ziehe ihn wieder aus. Ich werde keinesfalls so verschwitzt wie ich bin mein Paket öffnen. Also, nochmals ab in die Dusche mit mir! Sauber und eingecremt greife ich neuerlich nach meinem Jogger, lege ihn ein weiteres Mal kopfschüttelnd zur Seite. Vor Aufregung hätte ich beinahe vergessen Unterwäsche anzuziehen! Kichernd schlüpfe ich in Slip und BH, streife mir warme Socken über die Füße. Aber jetzt! Ich ziehe den Jogger an, zippe die Jacke zu, betrachte mich im Spiegel an der Schranktür. Etwas sehr leger. Zu leger?

„Blödsinn!“, schimpfe ich mich selbst. „Soweit kommt`s noch, dass ich mich jetzt in ein Cocktailkleid schmeiße.“ Wichtiger Moment hin oder her, übertreiben muss ich es nun aber wirklich nicht. „Naja, aber für ein Selfie vielleicht?“ Hektisch ziehe ich mich um, bin mehr als zufrieden mit meinem Spiegelbild. Das schilfgrüne Kleid ist aber auch echt schön. Ich streife mir noch die passenden Schuhe über, behänge mich mit meinem Festtagsschmuck. Ich bürste mein wild vom Kopf abstehendes rotgelocktes Haar. Bändige meinen Pony, indem ich ihn mit einer Haarspange nach hinten auf dem Kopf festtackere. Nur noch ein wenig Wimperntusche und Lippenstift und schon bin ich bereit für den Inhalt meines Paketes. Oh, die Nägel. So kann ich die keinesfalls lassen. Ein bisschen feilen, ein wenig dezenten Nagellack …

 

Endlich stehe ich fix und fertig vor meinem Paket, betrachte es eingehend. Ich gleite mit dem Finger über das Etikett des Absenders. Nach kurzem Überlegen trage ich es ins Esszimmer. Hier auf dem großen Tisch habe ich wesentlich mehr Platz. Ich beginne zu fotografieren. Erst das Paket, dann das Etikett. Mich. Mich über das Paket gebeugt. Mich, wie ich mit dem Finger auf das Etikett zeige.

Mit zittrigen Fingern versuche ich die Schnur zu entknoten. Ich zerre wie wild, doch nichts tut sich. Ha, die Schere! Meine Handykamera dokumentiert klickend jede Bewegung. Ein leises Schnarren erklingt als ich die Schnur unter der Schachtel wegziehe.

Ich stelle das Handy auf Videoaufnahme. Bedächtig schlage ich mit der rechten Hand den Deckel auf, die linke hält das surrende Handy. Kurz halte ich inne, wühle gierig durch das Füllpapier. Und da, tief verborgen und gut geschützt, liegt mein persönlicher Schatz: Meine Buchexemplare. Endlich.

Zart streiche ich über ein Buch, lese voller Stolz meinen Namen auf dem Buchdeckel. Habe ich es also doch geschafft! Nur eine kleine, winzige, Auflage ist es. Aber sie liegt hier vor mir, frisch aus der Druckerpresse. Mit stolz geschwellter Brust und tränenden Augen lege ich ein Exemplar unter den Weihnachtsbaum. Hach, ist das schön!

 

Der Wecker reißt mich aus dem Schlaf. Was …? Wieso …? Mein Buch! Ich springe auf, renne ins Wohnzimmer. Unterm Weihnachtsbaum liegt nichts. Ich renne ins Büro. Missmutig betrachte ich den Stoß Papier auf meinem Schreibtisch. Mist, ich hab mein Buch ja noch nicht einmal fertig korrigiert, geschweige denn bei einem Verlag eingereicht! Ich setze mich hin, betrachte mein Werk.

Na ja, vielleicht im nächsten Jahr *zwinker*.

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