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So macht man sich unter Garantie beliebt!

 

Ich bin eine ehrliche Haut wie man so schön sagt. Und etwas zu direkt in manchen Situationen. Umgekehrt neige ich ein wenig zu Begriffsstutzigkeit. Bin sozusagen keine Blitzgneißerin. Sagen zumindest Andere über mich. Dieses „Nicht-immer-gleich-verstehen“ manövriert mich öfter als mir lieb ist in unangenehme Situationen. Böse Zungen behaupten ja, ich bin gar nicht so unschuldig wie ich immer tue. Ich tapse gerne in Fettnäpfchen und spiele danach nur das erschrockene Unschuldslamm. Dies weise ich mit aller Kraft und Entschiedenheit zurück, sind mir doch solche Momente selbst mehr als unangenehm. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie viele Erdlöcher ich gedanklich in meinem Leben schon gegraben habe um mich darin zu verkriechen!

 

Ich war sechzehn oder siebzehn, also noch sehr jung und unerfahren, als sich folgende Geschichte zutrug. Es war echt eine schöne, aber ganz andere Zeit. Es gab in meiner Jugend kein Internet, kein WhatsApp und kein Facebook. Niemand fütterte uns in Windeseile mit Informationen, verhalf uns blitzschnell zu einem unproblematischen intensiven Austausch untereinander. Es gab einzig und allein das Festnetz-Telefon. Und das stand unter der Knute der Eltern. Der Telefonapparat befand sich in den meisten Wohnungen im Vorzimmer auf einem Schränkchen mit besticktem Zierdeckchen. Daneben lagen griffbereit dicke Telefonbücher, in denen man die gewünschte Telefonnummer fand, falls man sie nicht bereits wusste. Oder man rief die Auskunft an und ließ sich die Nummer durchgeben. Es gab absolut keinerlei Intimsphäre. Jeder, der wollte, konnte mithören. Und mitreden. Und befand man sich in einer öffentlichen Telefonzelle konnte es passieren, dass draußen Leute anklopften, man solle sich gefälligst beeilen.

 

Mein erster fester Freund hatte mich an diesem Abend zu sich nach Hause eingeladen. Familien-Fernseh-Abend war angesagt. Fußball. Ich hatte nichts mit Fußball am Hut. Für mich rannten zweiundzwanzig Männer in kurzen Hosen (die waren damals echt peinlich, weil derart kurz!) einem Ball nach. Also eigentlich nur zwanzig, weil zwei Männer standen ja gelangweilt im jeweiligen Tor herum. So meine Wahrnehmung.

 

Die Mutter meines Freundes mochte mich nicht besonders. Sie tat zwar auf Freundin und war nach außen hin ja „sooo froh mich zu sehen“, aber ihre Augen sagten dabei ganz was anderes als ihr Mund. Sein Vater spielte auf neutral. War er aber nicht. Er stand total unter der Fuchtel seiner Frau und alles geschah so wie sie es wollte. Für mich hieß das, er durfte mich gar nicht mögen, auch wenn er es tat. Was für eine bescheuerte Familie, dachte ich damals. Ich überlegte ab und an, ob er wohl adoptiert war.  Weil für mich passte er so gar nicht zum Rest der Familie. Nicht, dass es bei uns oder anderswo nicht genauso oder ähnlich zuging. Aber daheim mochten mich immerhin alle. Da war das Komisch-sein ja ganz was anderes, wenn Ihr versteht was ich meine.  

 

Es war jedes Mal ein Eiertanz für mich, meinen Freund zu Hause zu besuchen. Da wurde um mich herumgehüpft (seine Mutter veranstaltete jedes Mal einen übertriebenen Willkommenstanz) und meine Wangen getätschelt. Und dann wurde ich auf einen Sessel gesetzt und es wurde mir Kaffee und Kuchen oder ein Glas Wein serviert. Ich mochte gar keinen Wein, getraute mich aber nicht abzulehnen. Und so schlürfte ich angeekelt an dem für mich grauslichen Getränk. Natürlich in Zeitlupentempo, damit mir ja nicht nachgeschenkt wurde. Dazu kam noch, dass ich Alkohol nicht vertrug. Ich spürte wie er relativ schnell durch meine Adern preschte und sich in meinem Gehirn festsetzte. Ich glaube, ich war immer irgendwie benebelt, wenn ich von denen nach Hause ging.

 

Nun, nach der üblichen Begrüßung mit Kaffee und Kuchen bekam ich auch an besagtem Abend ein Glas Wein in die Hand gedrückt und wurde zum Sofa geleitet. Mein Freund und ich hatten darauf zu sitzen, seine Eltern saßen etwas seitlich vor uns in ihren Fauteuils, den Blick auf den Fernseher gerichtet. Ich hatte mir extra Strickzeug mitgebracht um der Langeweile ein wenig zu entkommen. Warum ich nicht einfach dankend abgesagt habe? Ach, Ihr wisst ja, wenn man jung und verliebt ist macht man vieles für den Partner. Sogar Fußball mit seinen Eltern schauen.

„Papa hat das Spiel auf Video aufgezeichnet, weil er es gestern nicht ansehen konnte“, teilte mir mein Freund in verschwörerischem Flüsterton mit. „Heute hat er deswegen kein Radio angemacht und keine Zeitung gelesen.“

Ich nickte und kramte umständlich in meiner großen Tasche nach dem Strickzeug.

Für die Jüngeren unter uns: Eine der größten Errungenschaften der modernen Technik war damals der Videorekorder. Mit ihm konnte man Sendungen aus dem Fernsehen aufzeichnen oder sich Videofilme ansehen, die man sich in sogenannten Videotheken auslieh. Für die Leihkassette musste man anfangs sogar eine Stange Geld hinterlegen als Einsatz. Die Rekorder selbst kosteten für damalige Verhältnisse ein Schweinegeld und waren DAS Wohlstandsymbol schlechthin.

„Er kennt das Ergebnis noch gar nicht. Darum ist er schon so gespannt auf das Spiel“, raunte er weiter in mein Ohr.

„Aha.“ Wo war denn bloß die zweite Stricknadel?

„Wollt Ihr noch irgendetwas?“, fragte seine Mutter. „Nicht, dass wir dann mitten unterm Spiel den Vati stören.“

„Nein, danke“, murmelte ich und versuchte ein freundlich-süßes Lächeln aufzusetzen. Hoffentlich meldete sich nicht mitten im Spiel meine Blase. Dann würde ich am Ende gar den Vati beim Spielangucken stören.

„Kann`s losgehen?“ Der Vater meines Freundes hielt die Fernbedienung des Rekorders wie ein Zepter in seiner Hand.

„Ja.“ Mein Freund salutierte beinahe.

Vati schaltete den Rekorder ein und das Spiel nahm seinen Lauf. Und mir wurde immer fader. Meine Stricknadel hatte ich zwar gefunden, aber wegen des Fernsehers war das Licht derart gedimmt, dass ich so gut wie nichts sah. Also konnte ich meinen Pullover vergessen. Und ich musste dem Spiel zusehen.

„Was machen wir morgen?“ Ich stupste meinen Freund an.

„Pst, nicht jetzt“, lautete die Antwort.

„Pst“, kam es auch aus der vorderen Reihe.

Puh, schien so, als würden die anderen nichts vom Match sehen, sobald jemand sprach. Na, das wurde ja ein super Abend. Wenn ich das gewusst hätte. Ich seufzte leise vor mich hin.

„Pst“, wurde ich sofort gemaßregelt.

 

Endlich war Halbzeit. Endlich Zeit zum Klo gehen und plaudern.

Die Gläser wurden nachgeschenkt, auch meines. Vor dem Spiel vorbereitete belegte Brötchen herumgereicht.

„Pst, Mutti, jetzt reflektieren die Studio-Gäste das bisherige Spiel.“ Vati wies seine Angetraute in die Schranken. Wahrscheinlich nicht ungestraft wie mir ihr Blick verriet. Mensch, war das langweilig.

 

„Das Spiel geht weiter!“ Freudig klatschten die Männer in die Hände.

„Ob die das noch gewinnen, so wie die sich anstellen?“, fragte der Vater meines Freundes.

„Nein, die verlieren drei zu zwei“, plapperte ich gedankenlos vor mich hin.

„Was?“ Der Vater.

„Wie?“ Die Mutter.

„Nein, Papa, das stimmt nicht. Woher soll die Rosi das wissen, die schaut ja nie Fußball.“ Mein Freund boxte mich in die Seite.

„Autsch!“

“Na, dann kann ich ja eh gleich abdrehen“, kam es da auch schon aus dem Mund seines Vaters.

„Nein, Papa. Echt schau es dir an. Die Rosi redet Blödsinn.“

Sicher wusste ich es. Es stand ja in allen Zeitungen. Ich war verwirrt.

„Entschuldigung, habe ich etwas Falsches gesagt?“ Vorsichtig stupste ich den Hausherrn an.

„Passt schon“, grummelte dieser ohne mich anzusehen,

„Ja, hast du.“ Mein Freund boxte mich nochmals in die Seite.

„Was soll das? Spinnst du?“, zischte ich ihn an.

„Ich nicht, aber du. Hast du mir vorhin nicht zugehört? Mein Vater hat sich das Match aufgezeichnet, weil er es gestern nicht ansehen konnte. Er wusste also nicht, wie es ausgeht. Kapische?“

Und da erst dämmerte es mir. Ich hatte dem Hausherrn das Fußballergebnis verraten. DAS in diesem Haus am besten gehütete Geheimnis der letzten 24 Stunden. Ich hatte ihm seiner Freude beraubt. Hatte ihm den Abend verdorben. Scheiße.

Mir war sofort klar: Wir würden nie Freunde werden, seine Eltern und ich. Der Zug war endgültig  abgefahren. Mutti hatte ja schon immer gewusst was ich für eine war. Und jetzt wusste es der Vati auch. Jetzt mussten sie es nur noch ihrem Sohn verklickern und dann war ich hoffentlich bald Geschichte.

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