Liebes Tagebuch,
der Tag beginnt nicht so toll. Frauli meint, sie radelt in die Stadt. Eh klar, die macht sich eine Gaudi und unsereins muss daheim bleiben. Obwohl … Ich wollte schon immer mal in Ruhe die Unterlagen im Regal unterm Couchtisch durchsehen. Jetzt hab ich endlich Gelegenheit dazu.
Ich klettere ins Regal und schubse den ganzen Papierkram hinunter auf den Fußboden. Das ist gar nicht so einfach. Der Stoß ist riesig und dementsprechend schwer. Aber wo ein Wille, da auch ein Weg.
Endlich habe ich das ganze Regal ausgeräumt, alles fein säuberlich auf dem Boden aneinandergereiht. Einer genauen Inspektion steht also nichts mehr im Weg. Jedes einzelne Blatt schau ich mir ganz genau an. Nicht, dass ich etwas Wichtiges übersehe. Ich unterziehe alles einem sorgfältigen Schnuppertest. Ich will ganz genau wissen, wer da schon alles dran war. Ich rieche ganz viel von Frauli, ein bisserl Nanni und ein bisserl was Fremdes. Letzteres ist mir so gar nicht recht. Wieso riecht es nach fremden Leuten bei uns? Wann hat sich da wer hereingeschlichen? Und warum? Und ist diese fremde Person noch im Haus? Muss ich mir Sorgen machen? Soll ich vorsichtshalber in der Bettzeuglade auf Frauli warten?
Um mich abzulenken beginne ich die Blätter zu sortieren. Das mit dem Übereinanderlegen gelingt mir nicht so gut. Die Blätter verwuscheln aber auch derart leicht. Und wenn man zu heftig daran zieht - noch dazu, wenn man oben drauf liegt - zerreißen sie. So ein Mist aber auch!
Endlich kommt Frauli heim. „Hanniiiiii!“ Jaaaa? „Wozu reg ich mich eigentlich auf. Es ändert ja doch nichts“, murmelt sie. Eben. Einfach ruhig bleiben, durchatmen und die Katze streicheln. Ich grinse Frauli an. Sie grinst nicht zurück. Merkwürdig. Was ist der denn schon wieder über die Leber gelaufen? „Komm, wir schaun, ob unser Obst reif ist.“ Na, wenn es sein muss, dann geh ich halt mit.
Zuerst gehen wir zum Himbeerstrauch. Eigentlich ist es ja ein Sträuchlein. Der ist echt fleißig. Wir finden jeden Tag zwei wunderschöne dunkelrote Himbeeren auf ihm drauf. Frauli sagt, die schmecken total lecker.
Weiter geht’s zum Kirschenbaum. Den gibt es schon ganz viele Jahre. Aber heuer wachsen das erste Mal Früchte. Frauli ist ganz aus dem Häuschen deswegen. Wir ernten heute fünf Kirschen, ungefähr genau so viele sind entweder angefressen oder faulig, die lassen wir am Baum hängen. Ganz hoch droben im Baum thront das riesige leere Vogelnest. Ich denke ja, dass die Piepmatze da immer zum Futtern zurückkommen. Frauli freut sich noch immer wie eine Schneekönigin über die paar Kirschen.
Dann gibt es da noch diesen einen besonderen Baum. Der hat nie Früchte. Macht auch keine Anstalten, irgendwann einmal welche zu bekommen. Wir wissen auch gar nicht, was er für welche tragen sollte. Frauli hat es mit den Jahren vergessen. Sie sagt, das ist unser Überraschungsbaum. Irgendwann überrascht er uns mit Früchten, die wir niemals von ihm erwartet hätten. Eigentlich eine schöne Vorstellung.
Daneben stehen zwei Bäume mit jeweils zwei Birnchen. Die brauchen aber noch ein bisserl, meint Frauli. Ja, und dann gibt es einen wirklich ganz geheimnisvollen Baum bei uns. Fast noch geheimnisvoller als der fruchtlose. Der hat Früchte, wir wissen aber noch nicht, was die einmal sein wollen. Vielleicht Zwetschken? Oder Marillen? Oder was ganz was anderes? Es hängen auf alle Fälle sieben winzig kleine grüne Dinger oben drauf.
Wir haben auch einen Weingarten, bestehend aus zwei Weinstöcken. Einer mit roten und einer mit grünen Trauben. Heuer hängen da echt gaaanz viele oben drauf. "Die Vögel und ich freuen uns schon auf die Ernte", sagt Frauli lachend.
Aber es gibt ja noch viel mehr in unserem Garten. Da sind diese kleinen roten Waldbeeren. Die wachsen bei uns überall, die findet man nur so schwer, weil sie sich gerne verstecken. Frauli holt eine kleine Schüssel und beginnt sie einzusammeln. Ich denke, es sind so an die zehn, fünfzehn Stück heute.
Also insgesamt haben wir heute viel eingefahren, wie wir Obstbauern sagen. Wir haben zwei Himbeeren, vier Kirschen und zehn Waldbeeren. „Am besten, wir verwerten das gleich. Es wäre doch schade, wenn es kaputt werden würde." Frauli schmunzelt. Sie überlegt, ob sie sich ein Müsli mit frischen Früchten machen soll. Oder vielleicht doch lieber einen Joghurt mit Früchten? Oder … Kurzerhand stopft sie sich einfach alles in den Mund und verwertet somit unsere gesamte Ernte in einem Rutsch.
„So, jetzt kochen wir uns aber etwas Feines. Ich hab heute noch gar nichts gegessen. Außer natürlich unser Obst“, Frauli grinst zufrieden. Sie ist überhaupt leicht zufriedenzustellen wie mir scheint. Ob ich auch so glücklich wäre, wenn ich eine Handvoll Brekkies wo fände?
Nanni und ich legen uns erwartungsvoll auf den Esstisch und warten. Selbstverständlich dürfen wir das nicht. Wir bleiben aber trotzdem liegen. Aus der Küche duftet es nach Fisch, Kartoffeln und Gemüse. Mmh, lecker! Ich merke, ich bin echt müde von der Arbeit in unserem Obstgarten. Ein kleines Nickerchen bis zum Abendessen geht sich sicherlich noch locker aus.
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